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Mythos Lerntypen: Gibt es sie wirklich und was sagt die Wissenschaft dazu?

Das Konzept der Lerntypen ist in der Bildungs- und Lernforschung weit verbreitet und findet in Schulen, Unternehmen und Weiterbildungsprogrammen oft Anwendung. Die Grundidee: Menschen lernen auf unterschiedliche Weise und können durch die Anpassung des Unterrichtsstils an ihren „Lerntyp“ effizienter lernen. Doch ist die Theorie von unterschiedlichen Lerntypen wissenschaftlich haltbar? Dieser Beitrag beleuchtet die Ursprünge des Konzepts, stellt die gängigsten Modelle vor und untersucht aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse.

Ursprung und Verbreitung des Lerntypenkonzepts

Die Idee der Lerntypen entstand in den 1970er und 1980er Jahren, als Forscher:innen wie Neil Fleming und Howard Gardner ihre Theorien zu verschiedenen Lernpräferenzen und -fähigkeiten formulierten. Fleming entwickelte das sogenannte VARK-Modell, das die Lerntypen in visuell, auditiv, lese-/schreiborientiert und kinästhetisch unterteilt (VARK steht für die englischen Begriffe Visual, Auditory, Reading/Writing, und Kinesthetic). Dieses Modell wurde zum Grundpfeiler der modernen Lerntypentheorie und ist auch heute noch in vielen Bildungsinstitutionen vertreten.

Howard Gardner führte etwa zur gleichen Zeit im Jahr 1983 das Konzept der multiplen Intelligenzen ein und schlug vor, dass es nicht einen allgemeinen Intelligenztyp gibt, sondern eine Vielzahl, die jeweils andere Stärken und Präferenzen im Lernen fördern. Zu Gardners Intelligenzen gehören beispielsweise sprachliche, logische, musikalische, räumliche und interpersonelle Intelligenzen. Das Konzept der multiplen Intelligenzen legte den Grundstein für die Idee, dass Menschen auf individuell unterschiedliche Weise lernen können und dass Bildungsansätze flexibel und auf die spezifischen Fähigkeiten und Interessen der Lernenden zugeschnitten sein sollten.

Die Wissenschaftliche Debatte: Gibt es festgelegte Lerntypen?

Seit der Einführung des Konzepts haben zahlreiche Wissenschaftler:innen Studien durchgeführt, um zu überprüfen, ob Menschen tatsächlich in spezifische Lerntypen kategorisiert werden können und ob eine Anpassung des Lehransatzes an diese Typen zu besseren Lernergebnissen führt. In einer viel zitierten Studie von Pashler wurde eine umfassende Analyse bestehender Forschung durchgeführt, die zu dem Ergebnis kam, dass es keine signifikanten Beweise dafür gibt, dass das Lernen besser funktioniert, wenn es an einen spezifischen Lerntyp angepasst wird. Die Forscher:innen betonten, dass zwar jeder Mensch individuelle Präferenzen hat, diese jedoch nicht unbedingt zu besseren Lernergebnissen führen, wenn ausschließlich nach diesen Präferenzen unterrichtet wird.

Auch eine Analyse von Willingham, Hughes und Dobolyi (2015) fand heraus, dass es wenig wissenschaftliche Grundlage für das Konzept der festen Lerntypen gibt. Vielmehr betonten die Forscher:innen, dass das Thema, die Art des Wissens und die Fähigkeiten, die vermittelt werden sollen, oft bestimmen, welche Lernmethode am effektivsten ist. So ist es zum Beispiel oft effizienter, geografische Konzepte visuell zu lernen, während das Verständnis von Sprachklang besser auditiv gefördert werden kann.

Kritik: Der „Mythos“ der Lerntypen

Heute warnen viele Bildungswissenschaftler:innen davor, Lernmethoden allein auf der Grundlage von Lerntypenmodellen anzupassen. Der Psychologe Daniel T. Willingham etwa argumentiert, dass die Vorstellung von festen Lerntypen, die strikt voneinander getrennt sind, wissenschaftlich nicht haltbar ist und sogar hinderlich sein kann. Er betont, dass Lernen ein komplexer Prozess ist, der von vielen Faktoren beeinflusst wird, darunter Motivation, Interesse und der spezifische Inhalt. Anstatt Lernende in starre Kategorien zu unterteilen, sollte das Lernen kontextabhängig gestaltet werden​.

Ein neuer Ansatz: Multimodales Lernen

Anstatt auf feste Lerntypen zu setzen, empfehlen viele Forscher:innen heute multimodales Lernen. Dies bedeutet, dass Lernmethoden kombiniert werden, um verschiedene Sinne und Gehirnregionen gleichzeitig anzusprechen. So kann beispielsweise ein Lernstoff, der visuelle, auditive und kinästhetische Elemente vereint, dazu beitragen, das Gedächtnis und das Verständnis zu fördern, ohne dass man sich auf einen einzigen „Lerntyp“ festlegt.

Lernen im Kontext und die Anpassung an den Lerninhalt sind heute wesentliche Elemente moderner Bildungstheorien. Verschiedene Inhalte profitieren von unterschiedlichen Methoden: Praktische Fähigkeiten lassen sich oft am besten durch aktives Tun (kinästhetisch) vermitteln, während theoretische Konzepte oft besser durch visuelles und auditives Lernen verinnerlicht werden. Studien zeigen, dass durch die Kombination von Methoden die Lernerfolge nachhaltiger und das Verständnis tiefer werden.

Fazit: Flexible und inhaltsbasierte Ansätze statt Lerntypen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorstellung fester Lerntypen heute wissenschaftlich umstritten ist und eher als vereinfachender Ansatz gilt. Individuelle Lernpräferenzen existieren zwar, doch die Kategorisierung in feste Lerntypen, die für alle Menschen gelten, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Studien wie die von Pashler et al. (2009) und Willingham zeigen, dass eine Orientierung an den Lerninhalten und eine Kombination verschiedener Methoden deutlich effektiver sind.

Lernen bleibt ein individueller und kontextabhängiger Prozess. Multimodales Lernen, das eine Vielzahl von Sinnen und Denkprozessen einbezieht, bietet eine vielversprechende Alternative zum traditionellen Lerntypenmodell und wird in der modernen Bildungsforschung zunehmend als flexibler und effektiver Ansatz anerkannt.

Quellen:

  • Pashler, H., McDaniel, M., Rohrer, D., & Bjork, R. (2009). Learning Styles: Concepts and Evidence. Psychological Science in the Public Interest, 9(3), 105–119.
  • Willingham, D. T., Hughes, E. M., & Dobolyi, D. G. (2015). The Scientific Status of Learning Styles Theories. Teaching of Psychology, 42(3), 266–271.
  • Fleming, N. D., & Mills, C. (1992). Not Another Inventory, Rather a Catalyst for Reflection. To Improve the Academy, 11(1), 137-155.

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